Ein Jahr nach der Bürgerversammlung im Goldenen Löwen sind wir alle klüger geworden.
Auch wer nicht dabei war, hatte davon gehört oder gelesen. Die größte
Einwohnerversammlung seit Jahren fand in Wandlitz
am 5. November 2012 im Goldenen Löwen zu einem heiß diskutierten Thema
statt: Der Einrichtung eines neuen Asylbewerberheimes im ehemaligen
Oberstufenzentrum in der Bernauer Chaussee 26. Eine Bürgerinitiative
hatte sich schnell gebildet, die die unterschiedlichsten Interessen
zusammenführte. Einerseits solche, die im Interesse der Asylbewerber
statt einer Heimunterbringung eine so genannte „humane
Einzelunterbringung“ wünschte. Aber auch andere, die – da solche
Wohnungen in Wandlitz so gut wie nicht zu haben sind – damit den Wunsch
verbanden: Kein Flüchtlingsheim, keine Flüchtlinge nach Wandlitz. Auf
der Versammlung im Goldenen Löwen spitzen es anwesende Mitglieder der
neonazistischen NPD auf die absurde Losung zu: „Keine Muslime, keine
Moscheen nach Wandlitz!“ Dass Bürgermeisterin Jana Radant dieser
ausländerfeindlichen Hetze mit dem Platzverweis ein Stopp setzte, hat
viele gefreut, manche gewundert und u.a. deutlich gemacht: bei aller
Toleranz – bis hierher und nicht weiter. Wir können über vieles
diskutieren, aber wir dulden keine Nazi-Hetze.
Es ging um etwas Unbekanntes
Aber darum ging es auch gar nicht in erster Linie. Es ging um etwas
Unbekanntes. Die Begegnung mit Ausländern beschränkte sich für viele
Wandlitzer bis dahin auf den Besuch eines griechischen, thailändischen
oder indischen Restaurants. Vielleicht traf man in Berlin
Änderungsschneidereien hochqualifizierte Türkinnen hinter der
Nähmaschine, und klar, die deutsche Nationalmannschaft, könnte ohne
Verstärkung der Boatengs, Kediras, Özils und Gemez’ gewiss nicht so
erfolgreich spielen.
Nun aber wurden Ängste vor Unbekannten, vor Flüchtlingen formuliert,
dass Kriminalität, sinkende Grundstückpreise und zunehmende ethnische
Konflikte das friedliche Wandlitz stören könnten.
Nichts von alledem ist eingetreten.
Heute nach zwölf Monaten kann jeder sehen, dass die neuen Mitbürger, und
die Zusammenarbeit, das Zusammenleben mit ihnen eine Bereicherung für
Wandlitz wurden.
Friedliches Nebeneinander
Wir erleben und haben bewiesen, dass das friedliche Nebeneinander,
unterschiedlicher Kulturen, Hautfarben und Sprachen möglich ist. Goethes
Warnung: „Es kann der bravste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen
Nachbarn nicht gefällt,“ die sich oft genug schon zeigt, wenn zwei
Familien nahezu identischer Kultur, Herkunft und Interessenlage über
Grundstücksgrenzen, Gemeinschaftsaufgaben oder Lärmbelästigung bei
Hausfesten in Streit geraten, diese Warnung hat sich NICHT erfüllt, seit
im Wandlitzer Straßenbild Frauen mit Kopftuch, anderer Hautfarbe oder
Muttersprache „normal“ geworden sind. Kein einziger schwerer Streit ist
aktenkundig geworden, kein strafrechtliches Delikt, keine Bedrohung
einheimischer Mädchen oder Frauen.
Im Gegenteil haben die Schülerinnen des Wandlitzer Gymnasiums, wenn sie
Asylbewerberinnen aus Afrika interviewten, oft genug traurigste
Erlebnisse notieren müssen, warum diese Frauen vor sexueller Gewalt, vor
rückständiger Kultur, kriegerischen Konflikten oder religiösen
Fundamentalisten die Flucht nach Europa angetreten sind.
Auch in der digitalen Welt zeigt sich ein friedliches Zusammenleben. Die
Facebook-Seite: „WILLKOMMEN in WANDLITZ, Fremde“
(www.facebook.com/willkommen.imn.wandlitz) erhält großen Zuspruch, eine
Facebook-Seite mit dem Titel: „Kein Asylbewerberheim in Wandlitz!“
verschwand nach wenigen Wochen wieder aus dem Netz.
Auch Ausländer haben weniger Angst in Wandlitz
Nicht zu unterschätzen ist aber auch, dass nicht nur die Einheimischen
weniger Angst als vor einem Jahr haben, sondern auch die hier
herkommenden Asylsuchenden. Im TV-Bericht des ZDF-Länderspiegel
(http://bit.ly/zdfwandlitz) vom 5. Oktober 2013 über Wandlitz sagte die
Asylbewerberin Sarema Murtazelema: „Ich kannte die Deutschen bisher nur
aus sowjetischen Kriegsfilmen, jetzt war das fast ein Schock, wie
herzlich wir empfangen wurden.“
Beim Bürgerbegegnungsfest am 25.Mai konnten die Asylsuchen mal etwas an
die Einheimischen zurückgeben: Die herrlichsten Speisen wurden
zubereitet, und so spürten viele Besucher auch auf der Zunge die
lukullische Bereicherung durch die neuen Mitbürger.
Wandlitz rückt zusammen in freiwilligen Integrationsprojekten
Schließlich haben wir, die schon bisher hier Wohnenden uns besser
kennengelernt.
Christen und Atheisten, Ostler und Westler, Schüler und Senioren haben
in den verschiedenen Projekten des Runden Tisches zusammengewirkt und
sich gegenseitig achten und schätzen gelernt. Dabei haben wir auch die
Erfahrung gemacht, dass Ehrenamt so lange Freude macht, wie es auf dem
Prinzip der striktesten Freiwilligkeit beruht. Wir haben nie gefragt:
WAS müsste MAN machen? Sondern immer WER will WAS machen? So kamen die
unterschiedlichsten Integrationsaktionen zustande. Der Satz: „Wenn
Wandlitz wüsste, was Wandlitz weiß“, konnte am Runden Tisch erlebt
werden, seien es Sprachtalente, seien es Fahrrad-Profis, seien es
Filmemacher oder begeisterte Schülerprojekte, sei es
Veranstaltungsmanagement, seien es spontane Geldspenden am Rande des
Fußballfeldes oder beim Einkauf mit Flüchtlingen. Es traf oft zu, was
auf der Facebook-Seite "WILLKOMMEN in Wandlitz" mehr als einmal zu lesen
war: "Ich bin stolz aus Wandlitz zu sein."
Wandlitz zeigt fröhliche Buntheit gegen Rassismus
Einen Sonderplatz nimmt der Pfingstsamstag ein. Bekanntlich hatte extrem
kurzfristig die NPD eine provokatorische so genannte „Wander-Demo“ vom
Bahnhof zum Flüchtlingsheim angemeldet. Uns blieben nur 20 Stunden Zeit,
über Telefon und Internet zu einer schützenden Menschenkette um das
Heim und zum „1. Wandlitzer-Open-Air-Chor-Festival gegen Rassismus“ zu
mobilisieren. Mehr als 250 Menschen kamen bunt gekleidet, mit
Seifenblasen, Kochtöpfen, Trompeten und Gitarren. Mehrere Chöre und
viele Gymnasiasten feierten ein frohes und buntes Zusammensein, so froh
und so laut, dass die menschenverachtenden Sprüche der Neonazis kaum zu
hören waren und diese frustriert noch vor Ablauf ihrer genehmigten
Kundgebungsdauer von dannen zogen. Später gab es den Spruch der die
Stimmung an diesen Tag wieder gab:
„Am Pfingstsamstag waren die Neonazis in Wandlitz, war das ein schöner
Tag“ – wegen der ideenreichen Vielfalt der NPD-Gegner natürlich!
Wie geht es weiter?
Das Wandlitzer Beispiel macht Schule. In Eberswalde, in Gransee, in
Leipzig fanden auf Einladung örtlicher Gruppen
Informationsveranstaltungen über die Wandlitzer Erfahrungen statt. Das
nächste Bürgerbegegnungsfest findet am 18. Januar 2014 im Goldenen Löwen
statt. Uraufgeführt wird der Film „Willkommen Fremde“, den der
Kinderfilmregisseur Bernd Saling zusammen mit Kindern der Basdorfer
Grundschule und Flüchtlingskindern gedreht hat. Auch wieder dabei:
Speisen und Getränke aus den Herkunftsländern der Asylsuchenden.
Die Willkommenskultur in Wandlitz geht weiter.
Mathis Oberhof, Koordinator des Runden Tisches der Toleranz
Viele Presseartikel und Filmbeiträge von rbb, zdf und Deutsche-Welle-TV
können Sie aufrufen auf der Homepage:
www.wandlitz.de oder auch
www.willkommeninwandlitz.wordpress.com
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